Am vergangenen Mittwoch hatten Schüler des Gymnasium Norf die seltene Gelegenheit der Teilnahme an einem Zeitzeugengespräch mit Edith Bader-Devries, einer Überlebenden des Holocaust.

Das voll bestuhlte pädagogische Zentrum ist bis auf den letzten Platz besetzt. Auf den Tribünen hocken Schüler auf Sitzkissen, ringsum sind die Holzbänke gefüllt. Dennoch ist es leise. So leise, dass man selbst in den hinteren Rängen jedes Wort versteht, das Edith Bader-Devries über die Lippen geht. Mikrofone mag die 82-Jährige nicht und zeigt, dass es auch ohne geht. „Bei mir, da sind sie nicht laut“, stellt die erfahrene Rednerin mit einem Schmunzeln zutreffend fest.
Vielleicht ist der zuhörenden Schülerschaft bewusst, dass sie hier eine der wenigen Gelegenheiten wahrnimmt, die sich ihr überhaupt noch bieten werden, eine Zeitzeugin des Holocaust zu erleben. Vielleicht sind es auch das Schicksal und die Präsenz von Edith Bader-Devries, die die Schilderungen der von ihr durchlebten, grausamen Vergangenheit trotz allen Leids mit heiteren Denksprüchen versieht; Die mehr als 300 Schüler hören still und gebannt zu, wie Edith Bader-Devries von ihrer Kindheit in Weeze, ihren Erlebnissen im Konzentrationslager Theresienstadt und ihrem Leben nach der Rückkehr in die Heimat erzählt.
„Der Holocaust ist ein Ereignis, dessen unmittelbare Wahrnehmung über den Kontakt zu Zeitzeugen nun in die letzte Phase geht. Die aktuelle Schülergeneration wird die letzte sein, die diese Erfahrungen selber sammeln kann“, betont Oberstufenkoordinator Dr. Raoul Zühlke die Bedeutsamkeit des Zeitzeugengesprächs. „Umso wichtiger ist es, alles daran zu setzen, unseren Schülerinnen und Schülern diese Möglichkeit einzuräumen.“ Daher wurden die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 und zwei Jahrgänge der gymnasialen Oberstufe zum Gespräch geladen. „Viele Bilder und Videos aus der Zeit des Dritten Reiches sind schwarz-weiß und erwecken damit den Eindruck, es handele sich um eine Zeit, die viel weiter zurückliegt als es de facto der Fall ist“, erklärt Daniel Lupo, der die Veranstaltung maßgeblich organisiert hat. „Es ist deutlich beeindruckender einen Zeitzeugen zu erleben, als einen Text von oder über einen Zeitzeugen zu lesen. Zu diesem Anlass habe ich eine Zeitzeugin gefunden, die als jüdisches Kind den Judenhass am eigenen Leib miterleben musste und sich bereit erklärt hat, den Schülerinnen und Schülern unserer Schule von ihren zum Teil traumatischen Erfahrungen zu berichten.“
Edith Bader-Devries verbrachte die ersten sechs Jahre ihres Lebens im niederrheinischen Weeze. Ihr Vater, ein stadtbekannter und angesehener Metzger, hatte im ersten Weltkrieg bei der berittenen Streitmacht gedient und dort ein Bein verloren. „Er war unwahrscheinlich deutsch. Er sagte selbst: Ich bin deutsch bis auf die Knochen. Jude war er, bewusster Jude, aber auch deutsch“, betont Bader-Devries. Mit sechs Jahren wurde sie mit ihrer Familie ins Konzentrationslager Theresienstadt im heutigen Tschechien deportiert, in dem die Familie vier Jahre bis zur Befreiung durch die Russen lebte. Im KZ stahl Edith Bader-Devries Kartoffeln, um zu überleben und ihre Familie am Leben zu halten und schlief zusammengepfercht mit 38 anderen, vor der Unerträglichkeit des eigenen Leids stöhnenden Menschen auf dem Boden. Ihr Überleben bezeichnet sie selbst als Gotteswunder: „Menschen, die die Zeit so überlebten, können glücklich sein“. Nach ihrer Rückkehr ins heimatliche Weeze besuchte sie dort die Volksschule, holte alles auf, was sie versäumt hatte, und ließ sich zur Kindergärtnerin ausbilden. Jahrzehntelang leitete sie jüdische Kindergärten, arbeitete auch in christlichen Einrichtungen und leitete später Jugendgruppen.
Ihre persönlichen Erfahrungen von Leid, Grausamkeit und Missbrauch haben tiefe Wunden hinterlassen. Edith Bader-Devries‘ Leben und die Beziehungen zu ihren Mitmenschen sind geprägt durch das, was Kindheit hätte sein sollen. Doch genauso geprägt ist sie durch das Vorbild ihres Vaters. „Weine nicht, wir schaffen das!“, sein Appell an die Familie in Theresienstadt, ein Sinnbild von Mut und Stärke. Und genauso tritt Bader-Devries heute auf. Mit Stärke, Furchtlosigkeit und Mut warnt die optisch fragile Seniorin: „Menschen vergessen, was sie getan haben.“ Gerade deswegen ist es der 82-Jährigen wichtig, dass sie „spricht für die, die nicht mehr leben, die keine Gelegenheit mehr haben.“ Denn „wenn ein Viertel von Euch das mit nach Hause nimmt, was ich sage, und dafür sorgt, dass Frieden in die Welt kommt, wenn wir alle uns lieben, kann nichts passieren in der Welt. Auch für alle Tiere und die ganze Natur. Dann kann uns nichts geschehen“. Bader-Devries‘ Worte beeindrucken und bewegen. „Wie unglaublich gutmütig diese Frau ist, und wie man das in ihrer Situation überhaupt sein kann,“ staunt eine Zuhörerin.

Edith Devries PZ

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